Zwei Seiten einer Medaille: Die zwei verschiedenen Diagnosekriterien für MCAS
Aktualisiert: 7. Juni 2023
Hinweis: Dieser Artikel ist aus dem Jahr 2020. Die Inhalte sind weiterhin korrekt, es haben sich seitdem allerdings zahlreiche Neuerungen ergeben, besonders durch neue Publikationen aus der Gruppe um Dr. Valent. Diese neuen Entwicklungen sind in meinem E-Book "Diagnosekriterien für MCAS verstehen: Aktuelle Entwicklungen und neue Perspektiven" kurz und übersichtlich zusammengefasst. Weitere Details zum E-Book findest du am Ende dieses Artikels!
Was sind Diagnosekriterien, und wie werden sie festgelegt?
Jede Krankheit braucht Kriterien, anhand derer Ärzte die Krankheit feststellen und die entsprechende Diagnose vergeben können. Das ist wichtig, damit nicht jeder Arzt die Diagnosen nach eigenem Geschmack festlegen kann. Die Diagnosekriterien sind aber nicht für jede Krankheit auf den ersten Blick klar erkennbar. Daher müssen zunächst Untersuchungen über die Eigenschaften und die Ausprägungen einer bestimmten Krankheit gemacht werden. In Übereinstimmung damit werden die Kriterien letztendlich von Experten diskutiert und beschlossen. Festgehalten werden die Diagnosekriterien derzeit im z.B. ICD, der International Classification of Diseases. Dort finden sich auch alle dazugehörigen Codes, z.B. D47.0 für indolente systemische Mastozytose, oder J00 für eine Erkältung. Diese Codes kennen viele Menschen z.B. von einem Krankenschein.
Es ist wichtig, dass die Kriterien eine Erkrankung relativ sicher diagnostizieren – sie sollten also weder zu streng, noch zu locker sein. Zu strenge oder zu lockere Kriterien haben jeweils unterschiedlichen Auswirkungen.
Zu strenge Kriterien verursachen eine Unterdiagnose. Das bedeutet, dass viele Patienten, die tatsächlich an einer Krankheit leiden, keine Diagnose bekommen. Im Beispiel des Mastzellaktivierungssyndroms (MCAS) würde dies zu viel Leid und Unsicherheit unter den Patienten führen, die MCAS haben, aber keine Diagnose bekommen können, da ihre Symptome nicht den Diagnosekriterien entsprechen. Ärzte wären ratlos, da sie Patienten haben, die offensichtlich leiden, die aber keiner Diagnose zuzuordnen sind. In der Folge erschwert eine fehlende Diagnose den Zugang zur Behandlung. Die Betroffenen suchen weiter nach Antworten, bei Ärzten und Gesundheitsexperten, oder alternativ bei Wunderheilern. Die Konsequenzen gehen von erhöhten Kosten im Gesundheitssystem bis zur Gesundheitsschädigung durch abenteuerliche Alternativbehandlungen. Darüber hinaus wäre die auf diesen Patienten basierende wissenschaftliche Beschreibung von MCAS zu eng gefasst, da viele Merkmale durch die strengen Kriterien ausgeschlossen würden.
Zu lockere Kriterien verursachen eine Überdiagnose. Das bedeutet, dass auch Patienten, die eigentlich an etwas anderem erkrankt sind, z.B. eine MCAS-Diagnose erhalten. Das könnte zur Folge haben, dass diese Patienten eine Behandlung erhalten, die nicht ihren Bedürfnissen entspricht – denn sie haben ja kein MCAS. Ihre wahre Erkrankung bleibt unerkannt, was weitreichende Folgen haben kann, sowohl für den einzelnen Betroffenen, als auch für die Kosten im Gesundheitssystem. Außerdem kann die Erkrankung MCAS, die ohnehin komplex ist, in ihrer Beschreibung zusätzlich verfälscht werden durch Patienten, die das Label „MCAS“ bekommen, ohne MCAS zu haben. Auch dies führt dann wieder zu Unsicherheiten bei Ärzten und Forschern, die diese Patienten untersuchen. Diese Schwierigkeit kann die Glaubwürdigkeit von MCAS untergraben, und daher sind rigorose Diagnosekriterien wichtig. Niemand möchte, dass MCAS zu einer belächelten „Reste-Kategorie“ wird, in der alle Patienten aufgefangen werden, die nirgendswo anders hineinpassen.
Wie ist das bei MCAS?
MCAS ist eine Krankheit mit einer zwar oft typisch verlaufenden, aber gleichzeitig eher unspezifischen Symptomatik. Daher ist es nicht immer leicht, jemanden korrekt als betroffen oder nicht-betroffen einzuordnen. Eines der aus wissenschaftlicher und ärztlicher Sicht gesehen größeren Probleme von MCAS ist, dass sich selbst die Experten noch nicht einig sind hinsichtlich seiner Definition. Was genau ist MCAS, und welche Merkmale muss jemand erfüllen, um eine MCAS-Diagnose zu erhalten?
Hier unterscheiden sich vor allem die Meinungen zweier Forschergruppen. Im Wesentlichen erscheinen Dr. Afrin, Prof. Molderings und Kollegen (Afrin et al., 2020; Afrin et al., 2017; Afrin, 2014, Afrin und Molderings, 2014; Molderings et al., 2014; Molderings et al., 2013) als prominente Vertreter einer Sichtweise, und Dr. Valent, Dr. Akin und Kollegen als vorrangige Vertreter einer anderen (Valent et al., 2019a, b; Valent und Akin, 2019; Valent et al., 2012). Es gibt einige Übereinstimmungen, und einige Unterschiede. Die unterschiedlichen Sichtweisen werden im Folgenden vorgestellt. Jedem Thema folgt ein persönliches Fazit mit einer Einordnung der dargestellten Sachverhalte. Dies spiegelt neben den wissenschaftlichen Fakten auch die Meinung der Autorin Dr. Nina Kreddig wider.
Die Gemeinsamkeiten
Die gute Nachricht für alle Betroffenen ist, dass die Existenz von Mastzellaktivierung an sich nicht in Zweifel steht. Ebenso sehen beide Forschergruppen eine Notwendigkeit zur Handlung, und die Wichtigkeit von konkreten Kriterien, anhand derer MCAS identifiziert werden kann. Konkrete Kriterien, auf die sich die Diagnose stützt, sind wichtig, damit MCAS in Klassifikationswerke von Erkrankungen, wie z.B. das oben bereits erwähnte ICD, weltweit aufgenommen werden kann. Die Aufnahme in das ICD legitimiert MCAS als Erkrankung, und ermöglicht Ärzten die Diagnosestellung. In den folgenden Diagnosekriterien stimmen die beiden Gruppen überein (Afrin et al., 2020):
Ein MCAS-Patient muss Symptome haben, die zu chronischer, abnormaler Mastzellaktivierung passen, oder in Reaktion auf einen Auslöser stattfinden (die meisten Patienten zeigen beides), was in vielen Patienten von periodischen Schüben begleitet wird.
Ein MCAS-Patient muss Symptome abnormaler Mastzellaktivierung in mindestens zwei Organsystemen zeigen.
Ein MCAS-Patient darf keine andere Erkrankung haben, die das Vollbild der Beschwerden und ihre Dauer besser erklärt.
Die gute Nachricht für alle Betroffenen ist, dass die Existenz von Mastzellaktivierung an sich nicht in Zweifel steht.
Die Unterschiede
Neben diesen wichtigen, grundlegenden Gemeinsamkeiten gibt es aber auch wesentliche Unterschiede in den Ansichten der beiden Forschergruppen. Dies ist einerseits schwierig, da sowohl die hohe Komplexität von MCAS, als auch die unklare Lage hinsichtlich Definition und Diagnostik es Patienten, Ärzten und auch Forschern erschwert, den richtigen Zugang zu MCAS zu finden. Andererseits wird MCAS erst seit etwa 10 Jahren erforscht. In so einem vergleichsweise frühen Stadium der Erforschung einer sehr komplexen Erkrankung ist Uneinigkeit nicht unüblich. Die Wissenschaft muss auseinandergehende Ansichten und Denkweisen aushalten, und durch Studien und Fakten zeigen, welcher Ansatz die Realität besser reflektieren kann. Da MCAS, zumindest in bestimmten Subgruppen, an vielen Erkrankungen mit allergisch/entzündlichen, oder sogar dystrophischen (im weitesten Sinne: Fehlwachstum betreffend), Themen beteiligt zu sein scheint, steigt das Interesse der Forschung an MCAS stetig. Daher ist zu erwarten, dass es mit der Zeit immer mehr Antworten geben wird. Dabei muss aber auch klar sein, dass aufgrund der Komplexität von MCAS einige ungeklärte Fragen wohl noch auf Jahrzehnte bleiben werden – denn Forschung braucht Zeit.
Die wesentlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Forschergruppen drehen sich darum, was MCAS ist, und ab wann Mastzellaktivierung als MCAS bezeichnet werden sollte.
Die wesentlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Forschergruppen drehen sich darum, was MCAS ist, ab wann Mastzellaktivierung als MCAS bezeichnet werden sollte, und welche Kriterien und Mastzellmediatoren (die Stoffe, die die Mastzellen abgeben) in Blut- und Urinproben zum Nachweis von Mastzellaktivierung bzw. MCAS herangezogen werden können und sollten. Diese Punkte werden im Folgenden einzeln erörtert.
Was ist MCAS?
Schon diese grundlegende Frage wird von den Gruppen unterschiedlich beantwortet. Die Forscher um Dr. Afrin und Prof. Molderings sagen, dass MCAS häufig auftritt, und dabei Ausprägungen zwischen mild bis sehr schwer aufweisen kann, wobei die prozentual häufigsten Ausprägungen mild sind. MCAS ist nach ihrer Auffassung „praktisch epidemisch“ (Afrin et al., 2020), denn Daten lassen vermuten, dass MCAS in 17% der Bevölkerung vorliegt (Molderings et al., 2013). Dies ist im Grunde nicht überraschend, da MCAS sich wahrscheinlich in zahlreichen Allergien und Unverträglichkeiten, sowie vielen weiteren unterschiedlichen allergisch-entzündlichen Krankheitsbildern widerspiegelt (Afrin et al., 2020). Afrin, Molderings und Kollegen nehmen an, dass MCAS in der Regel chronisch und/oder episodisch verläuft, mit Schüben und Anfällen. Es ist ihrer Ansicht nach sinnvoll, MCAS zu vermuten, wenn Zeichen der Mastzellaktivierung präsent sind und sich keine bessere Erklärung für die volle Bandbreite der Symptome findet. MCAD (mast cell activation disorders/Mastzellaktivierungserkrankungen, MCAS und Mastozytose einschließend) sollten bei allen Patienten in Betracht gezogen werden, die an chronischen Multisystem-Mehrfacherkrankungen mit einem generell allergisch/entzündlichen oder sogar dystrophischen Thema leiden, oder bei Patienten, bei denen die bekannte Diagnose die Symptome nicht hinreichend erklärt, während diese aber zu einer Mastzellaktivierung passen. Besonders bei „merkwürdigen“ Symptomen sollte an MCAD gedacht werden. Begriffe wie „seltsam“, „merkwürdig“, „ungewöhnlich“ finden sich häufig in bisherigen Berichten über die Krankheitsgeschichte der Patienten (Afrin et al., 2020). Afrin, Molderings und Kollegen sehen MCAS als deutlich häufiger, und klinisch sowie genetisch heterogener als Mastozytose. Mastozytose weist klinische Abnormalitäten auf, die bei MCAS nur selten vorhanden sind. Hauptunterschiede zwischen MCAS und Mastozytose sind pathologische Befunde wie z.B. signifikant erhöhte Tryptase und vermehrte Mastzellen (Mastzellproliferation) bei Mastozytose, die bei MCAS seltener auftreten (Afrin et al., 2017). Afrin, Molderings und Kollegen sehen MCAS und Mastozytose als zwei getrennte Erkrankungen, die unter den gemeinsamen Überbegriff der Mastzellaktivierungserkrankungen (MCAD) fallen. In beiden Erkrankungen entstehen die meisten Symptome durch die Überaktivierung der Mastzellen (Afrin et al., 2020).
Die Forscher um Dr. Valent und Dr. Akin sagen, dass MCAS eine seltene Erkrankung ist (Akin, 2017), die immer mit schweren Symptomen, wie z.B. Anaphylaxie oder extrem niedrigem Blutdruck, verbunden ist, die einen Krankenhausaufenthalt nötig machen (Valent und Akin, 2019). In Abwesenheit schwerer Symptome ist ihnen zufolge eine MCAS-Diagnose unwahrscheinlich (Valent et al., 2019a, Valent und Akin, 2019). Die zwei Hauptdiagnosen, die MCAS zugrunde liegen, sind schwere Allergien oder Mastozytose, aber MCAS kann auch in anderen Erkrankungen auftreten. Valent, Akin und Kollegen sehen MCAS nicht als separat von der Mastozytose an, sondern als mögliche Folge davon. Daher können MCAS und Mastozytose auch zusammen auftreten. Die Forscher nehmen an, dass nur wenige Patienten mit MCAS Mastozytose haben werden, aber unter den Mastozytose-Patienten viele auch an MCAS leiden. Die höchste Prävalenz von MCAS findet sich in Patienten, die sowohl an Mastozytose leiden, als auch an einer IgE-vermittelten Allergie (Valent et al., 2019a). Um die milderen Fälle von Mastzellaktivierung mit abzudecken, beschreiben die Forscher neben MCAS auch weitere Formen sowohl von lokaler als auch von systemischer von Mastzellaktivierung, welche die (von Valent, Akin und Kollegen selbst) vorgeschlagenen Kriterien für ein Vollbild des MCAS nicht erfüllen, aber multiple Symptome mit sich bringen. Diese bekommen entsprechend nicht das Label „MCAS“, sondern laufen unter „Mastzellaktivierung“ (MCA, Valent et al., 2019a). MCA kann unterteilt werden in schwere und weniger schwere, akute, chronische, episodische, lokale und systemische Varianten. Nach Valent, Akin und Kollegen tritt MCA häufig auf, ist aber milde und meist vorübergehend. In schweren Fällen kann MCAS diagnostiziert werden. Dies ist den Autoren nach allerdings selten, und die meisten Patienten, die wegen MCAS kommen, zeigen eine andere unterliegende Erkrankung (Valent und Akin, 2019).
Persönliches Fazit
Die Positionen der beiden Forschergruppen unterscheiden sich hier hauptsächlich in der Schwelle, ab der Mastzellaktivierung als MCAS bezeichnet wird. Während bei Afrin, Molderings und Kollegen alle Fälle nachweisbarer systemischer Mastzellaktivierung unter die Diagnose MCAS fallen, bezeichnen Valent, Akin und Kollegen nur schwere Fälle als MCAS. Alle milden Fälle fassen sie unter „MCA“, zusammen, also „Mastzellaktivierung“. Dabei erscheint die Unterscheidung von Valent, Akin und Kollegen in „schwere“ MCA, und damit MCAS, und „milde“ MCA als eher willkürlich. „Schwer“ bedeutet, dass der Betroffene ins Krankenhaus musste. Dies ist allerdings ein auslegbares Kriterium, da die persönliche Entscheidung für oder gegen einen Krankenhausaufenthalt von vielen Faktoren mitbestimmt werden kann, die nicht mit der Schwere der Beschwerden zusammenhängen. Stellen wir uns Herrn Müller und Frau Meier vor, zwei hypothetische MCAS-Betroffene mit vergleichbaren Beschwerden. Herr Müller ist ängstlich, und sorgt sich viel um seine Gesundheit. Frau Meier schiebt solche Sorgen erst mal weg, möchte „niemandem zur Last fallen“ und lieber länger zuhause „durchhalten“. Es liegt nahe, dass Herr Müller eher ein Krankenhaus aufsucht als Frau Meier. Er hat dadurch aber nicht mehr MCAS als sie. Es bietet sich zudem die Frage an, ob eine genauere Einteilung in MCA und MCAS sinnvoll und möglich ist. Welcher Vorteil ergibt sich dadurch, die Betroffenen in „MCAS“ und „MCA“ einzuteilen? Tut man Patienten etwas Gutes damit, wenn ihnen das Label „MCAS“ verweigert wird, oder das Label „MCAS“ nur schwer zugänglich ist? Denn „MCA“ soll bisher keine anerkannte Diagnose darstellen. Das hat entsprechende Konsequenzen für die Behandlung und rechtliche Gleichstellung von Menschen mit „MCA“. Diese Betroffenen können allerdings ebenfalls erheblich unter ihrer Erkrankung leiden, wie auch Valent, Akin und Kollegen anmerken. Es ist ein Argument für die Position von Afrin, Molderings und Kollegen: Deren klinische Erfahrung zeigt, dass viele ihrer MCAS-Patienten (welche nach ihrer inklusiveren Definition von MCAS auch mildere Fälle beinhalten) nach jahre- oder sogar jahrzehntelangem Leiden eine substanzielle Besserung durch die Behandlung erfahren.
Anhand welcher Kriterien soll MCAS diagnostiziert werden?
Bedingt durch die deutlichen Unterschiede in der Definition, ab wann eine Mastzellaktivierung als MCAS zu bezeichnen ist, unterscheiden sich auch die Ansätze der Diagnostik. Wie die beiden unterschiedlichen Forschergruppen Afrin, Molderings und Kollegen auf der einen Seite, und Valent, Akin und Kollegen auf der anderen Seite die Kriterien für eine MCAS-Diagnostik gestalten möchten, findet ihr im Folgenden:
1. Afrin, Molderings und Kollegen (Molderings et al., 2016)
Hauptkriterium: Konstellation klinischer Beschwerden, die auf pathologisch erhöhte Mastzellaktivität zurückführbar sind (Mastzellmediatorfreisetzungssyndrom)
Nebenkriterien:
1) Fokale oder diffuse erhöhte Anzahl an Mastzellen im Knochenmark und/oder extrakutanen Organen (Gastrointestinal-Biopsien, CD117-, tryptase- und CD25-gefärbt)
2) Abnormale Mastzellmorphologie: Atypische oder spindelförmige Erscheinung von mindestens 25% der Mastzellen im Mark oder anderen extrakutanen Organen
3) Abnormale Mastzellexpression von CD2 und/oder CD25 (Koexpression von CD117/CD25 oder CD117/CD2)
4) Feststellung genetischer Veränderungen in Mastzellen im Blut, Knochenmark, oder extrakutanen Organen, von denen ein Einfluss auf die Aktivität der betroffenen Mastzellen im Sinne einer erhöhten Aktivität bestätigt wurde
5) Hinweise (typischerweise aus Körperflüssigkeiten wie Vollblut, Serum, Plasma oder Urin) auf erhöhte Werte von Mastzellmediatoren, inklusive:
a. Tryptase im Blut
b. Histamin oder seinen Metaboliten (z.B. N-Methylhistamin) im Urin
c. Heparin im Blut
d. Chromogranin A im Blut (potenzielle andere Quellen wie Herz- oder Nierenversagen, oder der kürzliche Gebrauch von Protonenpumpenhemmern wurden ausgeschlossen)
e. Andere relativ mastzellspezifische Mediatoren (z.B. Eicosanide inklusive Prostaglandin D2, seinem Metaboliten 11β-PGF-2α oder Leukotriene E4)
6) Symptomatische Reaktion auf Inhibitoren von Mastzellaktivierung oder Mastzellproduktion und -aktion (z.B. Histamin-H1- oder -H2-Rezeptorantagonisten, Cromoglicinsäure).
Die MCAS-Diagnose kann gestellt werden, wenn entweder (1) das Hauptkriterium und eines der Nebenkriterien, oder (2) drei Nebenkriterien zutreffen.
Histologische Untersuchungen können genutzt werden, um die Diagnose zu unterstützten (Abzählung von Mastzellen).
Für alle diese Untersuchungen gilt, dass strenge Vorschriften in der Behandlung der Proben zu erfolgen haben. Zudem ist zu beachten, dass ein negativer Befund ist kein Beweis gegen das Vorliegen von MCAS ist, wobei ein positiver Befund die Diagnose stützt.
Die Mastzellen-Checkliste (Afrin und Molderings, 2014) kann (unter Ausschluss von Differenzialdiagnosen!) ein relativ sicherer Hinweis auf Mastzellbeteiligung sein, ersetzt jedoch keine Feststellung von Mastzellaktivität über die entsprechenden Tests.
2. Valent, Akin und Kollegen (Valent et al., 2019a)
1) Kriterium A: Typische, klinische Zeichen schwerer, widerkehrender (episodischer) systemischer (involvieren mindestens 2 Organsysteme) Mastzellaktivierung (oft in der Form von Anaphylaxis).
2) Kriterium B: Involvierung von Mastzellen ist biochemisch dokumentiert: Als präferierter Marker gilt hier ein Anstieg von Tryptase von dem individuellen Basiswert auf + 20% + 2 ng/ml. In diesem Artikel erfährst du mehr über die Formel.
3) Kriterium C: Ansprechen der Symptome auf Therapie mit mastzellstabilisierenden Wirkstoffen, Medikamenten gegen Mastzellmediatorproduktion, oder Medikamenten, die Mediatorfreisetzung oder Effekte von mastzellabhängigen Mediatoren blockieren.
Alle drei Kriterien müssen zutreffen.
Valent, Akin und Kollegen (2019a) halten es aber auch für möglich, dass MCAS vorliegt, falls die Kriterien (siehe oben) nicht gänzlich erfüllt sind. Dies könnte verschiedene Fälle betreffen, z.B.:
Patienten, die schwere, wiederkehrende Symptome und einen diagnostisch bedeutsamen Tryptaseanstieg zeigen, aber bei denen die Behandlung mit konventionellen Medikamenten nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome führt.
Patienten, die schwere Symptome zeigen, aber nur leicht erhöhte Tryptasewerte. Falls möglich, sollten in diesen Patienten weitere Mediatoren bestimmt werden. Zeigen sich dort erhöhte Werte, und ist eine Reaktion auf entsprechende Medikamente vorhanden, kann eine MCAS-Diagnose ebenfalls abgewogen werden. In solchen Patienten müssen die Symptome schwer sein und der Anstieg in messbaren Mastzellmediatoren muss substanziell sein.
Patienten, bei denen die Symptome weniger schwer sind, und/oder die Symptome nur ein Organsystem betreffen oder lokal sind.
In den ersten beiden Fällen kann eine Diagnose von „möglicherweise MCAS“ gestellt werden, und weitere Behandlung sollte begonnen werden. Im dritten Fall sollte weiter auf MCAS-Kriterien geprüft werden. In den meisten Fällen würde sich allerdings herausstellen, dass diese an einer nicht mastzellabhängigen Erkrankung leiden, oder an einer weniger schweren Form von Mastzellaktivierung, MCA, die nicht die Kriterien für MCAS erfüllt (Valent et al., 2019a).
Persönliches Fazit
Wie bereits eingangs erwähnt, sollten Diagnosekriterien weder zu locker, noch zu streng sein. Damit soll sowohl eine „Überdiagnose“ als auch eine „Unterdiagnose“ verhindert werden. Die Kriterien von Afrin, Molderings und Kollegen können möglicherweise zu einer „Überdiagnose“ führen. Hier muss im Hinterkopf bleiben, dass ein kleiner Teil der Patienten eventuell an einer anderen Erkrankung leidet. Dies muss besonders dann beachtet werden, wenn die MCAS-Therapie keine Wirkung zeigt. Die Kriterien von Valent, Akin und Kollegen können zu einer „Unterdiagnose“ führen. Dann bliebe vielen Patienten der Weg zu einer Behandlung versperrt. Da viele MCAS-Patienten, milde Fälle eingeschlossen, durch die Behandlung jedoch eine dauerhafte Verbesserung ihrer Beschwerden erleben, wäre dies besonders bedauerlich. Das macht den Eindruck, als ob diese inklusiveren Kriterien mehr Menschen helfen könnten. Ein weiterer Kritikpunkt an der strengeren Auslegung von Valent, Akin und Kollegen ist die Notwendigkeit von Ausnahmen in den Kriterien, die die Autoren offenbar selbst erkennen. So stellen sie zusätzliche Leitlinien auf, anhand derer MCAS dennoch diagnostiziert werden kann, obwohl ihre Kriterien nicht zutreffen. Es drängt sich die Frage auf, warum die Kriterien streng gestaltet werden, wenn den Autoren selbst feststellen, dass es „echte“ MCAS-Fälle geben kann, die diesen nicht entsprechen, und dennoch als „MCAS“, und nicht als „MCA“, berücksichtigt werden müssen. An dieser Stelle würde es sich eventuell anbieten, die Kriterien zu überarbeiten, um alle Fälle einzuschließen. Afrin, Molderings und Kollegen lösen dieses Problem durch eine inklusivere Sicht von MCAS, welche hinsichtlich der Diagnostik keine Binnenunterscheidung in schwere („MCAS“) und milde („MCA“) Fälle benötigt.
Anhand welcher Mastzellmediatoren kann MCAS diagnostiziert werden?
In der Debatte um Mastzellmediatoren, mit denen das Vorliegen von MCAS überprüft und dann eine Diagnose gestellt werden kann, sind einige Punkte wichtig. Zum einen müssen die Mediatoren in klinischen Laboren messbar sein. Dies ist aktuell leider nur für einige wenige Mediatoren möglich. Zum anderen sollte der jeweils gemessene Mediator spezifisch für die Mastzelle sein, also idealerweise ausschließlich, oder zumindest hauptsächlich, von ihr produziert und/oder freigesetzt werden. Viele Stoffe, die in Mastzellen enthalten sind, können auch anderen Zellen entstammen, z.B. Basophilen, Neutrophilen oder Makrophagen. Ihre erhöhte Präsenz in einer Probe wäre kein stichhaltiger Beweis auf eine spezifische Aktivierung der Mastzellen – es wären immer auch andere Zellen im Verdacht. Besonders spezifisch für die Mastzellen sind Tryptase und Heparin (Valent et al., 2019b). Aber auch andere Stoffe der Mastzelle können zur Mastzelldiagnostik herangezogen werden. Diese werden zwar auch von anderen Zellen prinzipiell freigesetzt, aber nur zu einem Bruchteil der Menge, die aus Mastzellen freigesetzt wird. Daher kann man, zusammen mit einem zur Mastzellaktivierung passenden klinischen Beschwerdebild, auch bei Erhöhung dieser Stoffe davon ausgehen, dass die Mastzellen aktiviert sind. Es ist bei der Mastzelldiagnostik also wichtig, die Dinge im Kontext zu sehen: Ein erhöhter Wert eines Mastzellmediators ist besonders dann nachweisend für MCAS, wenn auch das klinische Beschwerdebild von MCAS vorhanden ist (Afrin et al., 2020).
Es ist bei der Mastzelldiagnostik also wichtig, die Dinge im Kontext zu sehen: Ein erhöhter Wert eines Mastzellmediators ist besonders dann nachweisend für MCAS, wenn auch das klinische Beschwerdebild von MCAS vorhanden ist
Im Folgenden werden die Positionen der beiden Forschergruppen hinsichtlich der verschiedenen Mastzellmediatoren vorgestellt. Sie sind oft ähnlich, unterscheiden sich jedoch auch im Detail. Soweit nicht anders gekennzeichnet, entstammen die Informationen folgenden Quellen: Afrin et al., 2020; Molderings et al., 2014; Afrin et al., 2014; Afrin et al., 2017; Afrin und Molderings, 2014; Valent et al., 2019a, b; Valent und Akin, 2019, Valent et al., 2012.
Die Gemeinsamkeiten
Für beide Forschergruppen sind Tryptase, Histamin, Prostaglandin D2, Heparin und Leukotriene Bestandteile der Standarddiagnostik. Dabei stützen sich Afrin, Molderings und Kollegen in der Diagnose gleichermaßen auf alle diese Mastzellmediatoren. Valent, Akin und Kollegen präferieren Tryptase. Sie empfehlen jedoch, falls ein Serumtryptasetest nicht verfügbar ist oder kein überzeugendes Ergebnis liefert, oder wenn kein Blut, sondern nur Urin getestet werden kann, andere Mediatoren ebenfalls in Betracht zu ziehen. Erhöhte Werte in diesen, in Abwesenheit von einem Anstieg in Tryptase, zeigen nach Valent, Akin und Kollegen allerdings eher Mastzellaktivierung (MCA) an, und nicht MCAS. Afrin, Molderings und Kollegen machen diese Unterscheidung zwischen MCA und MCAS nicht. Zudem gilt für alle Mediatoren: Bei negativem Ergebnis kann es sinnvoll sein, die Testung in einem akuten Schub zu wiederholen.
Histamin gehört für beide Forschergruppen zur Standarddiagnostik, und beide sehen Histamin als möglichen Marker. Histamin wird von beiden als weniger spezifisch als Tryptase bezeichnet, da es auch in Basophilen und anderen Zellen produziert wird. Allerdings enthalten Mastzellen etwa hundertfach mehr Histamin als Basophile, dadurch kann Histamin dennoch als diagnostischer Laborbeweis von MCAS angenommen werden, wenn der klinische Kontext mit MCAS übereinstimmt. Beide Gruppen sehen dies auch für N-Methylhistamin, den Metaboliten von Histamin.
Prostaglandin D2 (PGD2) gehört für beide Forschergruppen zur Standarddiagnostik. Afrin, Molderings und Kollegen bezeichnen PGD2, zusammen mit Chromogranin A, als den nützlichsten Marker für Mastzellaktivierung, nach Heparin. Sie schreiben, obwohl PGD2 auch in anderen Zellen hergestellt wird, wird es in den Mastzellen etwa tausendfach stärker produziert und bietet daher attraktive klinische Spezifität für die Diagnostik. Nach Afrin, Molderings und Kollegen kann erhöhtes PGD2 als diagnostischer Laborbeweis von MCAS angenommen werden, wenn der klinische Kontext übereinstimmt. Auch Valent, Akin und Kollegen sehen PGD2 als nützlich: Es kann als Richtwert für die Behandlung und als Marker für MCA oder sogar MCAS herangezogen werden, ist aber weniger spezifisch als Tryptase. Beide Gruppen sehen dies auch für den Metaboliten von PGD2, 11β-PGF-2α.
Heparin ist für Afrin, Molderings und Kollegen der nützlichste Marker für Mastzellaktivierung. Heparin ist schwer zu messen, ist aber ein sehr sensitiver und spezifischer Indikator für Mastzellaktivität. 80% der MCAD-Patienten weisen ein erhöhtes Level auf (Vysniauskaite et al., 2015). Afrin, Molderings und Kollegen schreiben, bei Ausschluss von anderen Quellen von erhöhtem Heparin ist eine Mastzellaktivierung anzunehmen. So kann erhöhtes Heparin als diagnostischer Laborbeweis von MCAS genutzt werden, wenn der klinische Kontext übereinstimmt. Auch Valent, Akin und Kollegen halten Heparin für nützlich: Sie nehmen es ebenfalls als Indikator für Mastzellaktivierung an, und sehen es als ähnlich spezifisch für die Mastzelle wie Tryptase.
Leukotriene werden ebenfalls von beiden Gruppen in die Diagnostik einbezogen. Nach Afrin, Molderings und Kollegen kann erhöhtes LTE4 als diagnostischer Laborbeweis von MCAS angenommen werden, wenn der klinische Kontext übereinstimmt. Auch Valent, Akin und Kollegen stimmen zu: LTE4 kann als Marker für MCA oder sogar MCAS herangezogen werden, ist aber weniger spezifisch als Tryptase. LTE4 ist der Metabolit von LTC4.
Beiden Gruppen nennen noch weitere Mediatoren, die aktuell auf ihre diagnostische Eignung überprüft werden, z.B. VEGF (vascular endothelial growth factor) und TNF-α (tumor necrosis factor α) und PAF (platelet activating factor).
Die Unterschiede
Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es auch Unterschiede. Ein wesentlicher Unterschied besteht in den Positionen hinsichtlich der Tryptase und Chromogranin A.
Tryptase: Afrin, Molderings und Kollegen halten Tryptase für einen wichtigen Teil der Diagnostik, allerdings eher um anhand des Basistryptasewertes zu entscheiden, ob eine Diagnostik in Richtung Mastozytose notwendig ist. Im Kontext von MCAS-Symptomen kann ein erhöhter Tryptasewert aber auch diagnostisch nachweisend sein. Beide Gruppen sind sich einig, dass ein normaler Basistryptasewert MCAS nicht ausschließt, und dass die Basistryptase eher die Anzahl an Mastzellen reflektiert, nicht ihre Aktivierung. Valent, Akin und Kollegen sehen daher nicht den Basistryptasewert, sondern einen Tryptaseanstieg, also einen Vergleich zwischen dem Basiswert und einem Wert, der innerhalb eines Schubes gemessen wurde, als den bevorzugten Marker für MCAS. Liegt der Wert innerhalb des Schubes 20% + 2 ng/ml über dem Basiswert, so gilt dies als nachweisend für MCAS nach ihrer Definition. Afrin, Molderings und Kollegen stehen dem Tryptaseanstieg und der dazugehörigen Formel ambivalent gegenüber. Zum einen bleiben sie offen für die Möglichkeit, dass die Formel diagnostischen Nutzen hat, um MCAS-Betroffene von MCAS-Nicht-Betroffenen zu unterscheiden. Solange allerdings noch so viele Fragen zu MCAS im Allgemeinen, und zu der Formel im Speziellen offen sind, sehen sie die Formel nicht als valides (oder sogar einziges, und wie von Valent, Akin und Kollegen bezeichnetes „Goldstandard“-) Labor-Diagnostikkriterium an (Afrin et al., 2020). Weiterhin führen sie an, dass für die Formel ein „normaler“ Basiswert der Tryptase bekannt sein muss. Dafür müsste die Tryptase in einer nicht-symptomatischen Zeit geprüft werden. Allerdings haben viele von Mastzellaktivierung Betroffene nicht unbedingt eine völlig symptomfreie Zeit. Dann müsste in einem Krankheitsschub der Wert erneut getestet werden. Auch hier besteht die Schwierigkeit, genau dann einen Arzttermin zu bekommen, wenn der Schub stattfindet. Auch die Unterscheidung zwischen „normal“ und „außergewöhnlich“ ist nicht immer leicht. Außerdem wird kritisiert, dass der geforderte Anstieg sich an individuellen Werten orientiert, und damit eine Diagnose auch dann möglich ist, wenn der Tryptasewert grundsätzlich innerhalb des Normbereiches liegt (Afrin und Molderings 2014).
Ein weiterer Unterschied ist, dass Afrin, Molderings und Kollegen Chromogranin A für einen wichtigen Marker in der Standarddiagnostik halten, der in 17% der MCAD-Patienten erhöht ist. Ihnen zufolge ist Chromogranin A, zusammen mit Prostaglandin D2, nach Heparin der nützlichste Marker für Mastzellaktivierung. Andere Quellen der erhöhten Werte (außer MCAS) müssen jedoch ausgeschlossen werden. Dann kann erhöhtes Chromogranin A als diagnostischer Laborbeweis von MCAS angenommen werden, wenn der klinische Kontext übereinstimmt. Valent, Akin und Kollegen erwähnen Chromogranin A in ihren Kriterien hingegen nicht.
Obwohl beide Gruppen eine ganze Reihe an Mastzellmediatoren als nützlich für die Diagnostik ansehen, gibt es auch Kritikpunkte. Valent, Akin und Kollegen kritisieren zum einen die geringere Spezifität (ausgenommen Heparin) einiger Mediatoren für die Mastzelle. Afrin, Molderings und Kollegen entgegnen, dass erhöhte Werte dieser Mediatoren dennoch als nachweisend für MCAS angesehen werden können, da die Mastzelle ein Vielfaches (hundertfach bis tausendfach) der Mengen enthält, die andere Zellen produzieren können. Zudem regen sie an, die Werte in einen Gesamtkontext einzubetten. So gelten erhöhte Werte in Mastzellmediatoren als richtungsweisend, wenn sie mit einem klinischen Beschwerdebild einhergehen, welches mit MCAS übereinstimmt. Valent, Akin und Kollegen kritisieren außerdem, dass es für die meisten Mastzellmediatoren keine festgelegten Grenzwerte dafür gibt, wann sie „Mastzellaktivierung“ (MCA) anzeigen, und wann „MCAS“ – wobei diese Unterscheidung zwischen MCA und MCAS nur auf ihren eigenen Kriterien basiert. Die Gruppe um Afrin, Molderings und Kollegen macht diese Unterscheidung nicht. Daher sind Werte, die über den Normalwert erhöht sind, bei Afrin, Molderings und Kollegen nachweisend für MCAS, falls der Kontext übereinstimmt.
Persönliches Fazit
Die Unterschiede in der angestrebten Diagnostik zwischen den Forschergruppen um Afrin, Molderings und Kollegen einerseits, und Valent, Akin und Kollegen andererseits erscheinen für die Praxis relativ gering, sobald sie differenziert betrachtet werden. Unterschiede finden sich hauptsächlich in der Verwertung von Tryptase, und im Einsatz von Chromogranin A. Hinsichtlich der angenommenen Nützlichkeit der meisten Mastzellmediatoren herrscht jedoch relative Einigkeit zwischen den Forschergruppen, und Unterschiede liegen eher in der Betonung. Afrin, Molderings und Kollegen halten eine ganze Bandbreite an Mastzellmediatoren als geeignet für die MCAS-Diagnostik. Valent, Akin und Kollegen halten ebenfalls die meisten dieser Mediatoren für nützlich, präferieren allerdings die Tryptase als bestes Kriterium in der MCAS-Diagnostik, während die anderen Mediatoren eher als zweitrangige Möglichkeit in Frage kommen.
Diese Unterschiede scheinen im Wesentlichen durch den Unterschied in der Definition von MCAS bedingt zu sein, welcher eingangs bereits dargestellt wurde. Valent, Akin und Kollegen beschreiben, dass der Basistryptasewert während verschiedener reaktiver Prozesse individuell bemerkenswert stabil ist – außer bei Anaphylaxie. Bei Patienten mit systemischer Mastozytose unterscheidet Tryptase zuverlässig zwischen einem anaphylaktischen Ereignis und milderen Formen der Aktivierung (Valent et al., 2019b). Hier scheint der Schlüssel zu den unterschiedlichen Ansätzen in der Verwendung der Mastzellmediatoren zu liegen. Dieser geht vermutlich erneut darauf zurück, ab wann Mastzellaktivierung als MCAS bezeichnet wird. Wird angenommen, wie von Valent, Akin und Kollegen, dass MCAS nur im Zusammenhang mit schweren Ereignissen wie Anaphylaxie gesehen werden kann, so ist die Tryptase, und die von dieser Gruppe vorgestellte Formel 20% + 2 ng/ml, ein wertvoller Hinweis in der Diagnostik. Nimmt man allerdings an, wie Afrin, Molderings und Kollegen, dass MCAS auch milde Fälle umfasst, so ist die Tryptase in diesen Fällen von deutlich geringerem Wert in der Diagnostik: Wie bereits festgehalten, ist die Tryptase in vielen Reaktionen stabil – außer in der Anaphylaxie. In der MCAS-Definition von Valent, Akin und Kollegen ist die Anaphylaxie ein wichtiger Bestandteil von MCAS. Nach der Definition von Afrin, Molderings und Kollegen ist sie es jedoch nicht, sondern eher ein weiteres Symptom unter vielen. Bei milden mastzellabhängigen Symptomen bleibt das Level der Serumtryptase nahe des individuellen Basiswerts (Valent et al., 2019b). Insofern bedingt die Einschätzung, ab wann Mastzellaktivierung als „MCAS“ zu bezeichnen ist, direkt die Nützlichkeit der Tryptase in der Entscheidung darüber, ob MCAS vorliegt oder nicht. Dürfen nur die schweren Fälle als MCAS bezeichnet werden, scheint Tryptase diagnostischen Wert zu haben. Werden auch milde und moderate Fälle in MCAS einbezogen (statt nur in „MCA“), so gewinnen andere Mastzellmediatoren an diagnostischer Bedeutung. Die Ansätze der beiden Forschergruppen spiegeln dies wider.
Zur Bedeutung der verschiedenen Mastzellmediatoren sollte abschließend angemerkt werden, dass nicht jeder Mastzellpatient Schwierigkeiten mit jedem Mediator und an jeder Körperstelle hat. Insofern muss überlegt werden, ob eine deutliche Fokussierung auf einen einzelnen Mediator eine sinnvolle Maßnahme darstellt, die zuverlässig die „falschen“ Fälle aussortiert und die „richtigen“ Fälle erkennt – oder ob es eine Einschränkung ist, die einem Teil der Betroffenen den notwendigen Zugang zu Diagnose und Behandlung versperrt. Dieser Gesichtspunkt legt nahe, dass es in der Diagnostik von MCAS von Vorteil sein kann, sich in der Diagnostik auf mehrere Säulen zu stützen, z.B. Mastzellmediatoren, das klinische Beschwerdebild, sowie weitere Befunden aus Biopsien und genetischen Untersuchungen, und diese in einen Gesamtkontext zu bringen.
Gesamtfazit: Und jetzt?
Fehldiagnostik ist ein häufiges Problem, und da MCAS besonders komplex ist, scheint es dafür besonders prädestiniert zu sein (Afrin et al., 2020). Valent, Akin und Kollegen nutzen in ihren Publikationen eine mitunter klare Sprache, die gefestigte Fakten zu MCAS suggeriert. Die Expertendebatte, die hier beleuchtet wurde, kann in Kontrast dazu als ein deutlicher Hinweis darauf genommen werden, dass im Bereich MCAS tatsächlich noch viele weitere Studien gebraucht werden, die die benötigten belastbaren Erkenntnisse erst schaffen. Dabei ist gewiss, dass die Wissenschaft mit der Zeit ein immer genaueres Abbild der Realität zeigen wird, und damit auch eine gute Grundlage für die Diskussion der Diagnosekriterien bieten wird.
Bis dahin könnte dies eine Lösung hinsichtlich der Diagnostik sein: Beide Ansätze haben ihre Daseinsberechtigung, bis wir mehr über MCAS wissen.
Bis dahin bieten Afrin, Molderings und Kollegen (2020) eine Lösung hinsichtlich der Diagnostik an: Beide Ansätze haben ihre Daseinsberechtigung, bis wir mehr über MCAS wissen. Aktuell existiert noch keine Studie, die die beiden Ansätze miteinander vergleicht. Daher ist eine Diagnose nach jedem der beiden Ansätze valide, belastbar und hilfreich. Bei beiden Ansätzen ist es jedoch wichtig, die diagnostischen Hinweise aufeinander zu beziehen, und die Diagnose in einen stimmigen Gesamtkontext zu betten.
Eine Stellungnahme von Valent, Akin und Kollegen zu den Positionen von Afrin, Molderings und Kollegen ist nicht verfügbar. Obwohl beide Gruppen prominente Vertreter des Bereiches MCAS sind, haben Valent, Akin und Kollegen die reichlich publizierten Positionen von Afrin, Molderings und Kollegen in ihren ebenfalls zahlreichen Veröffentlichungen bisher nicht aufgegriffen.
Hinweis: Dieser Artikel ist aus dem Jahr 2020. Die Inhalte sind weiterhin korrekt, es haben sich seitdem allerdings zahlreiche Neuerungen ergeben, besonders durch neue Publikationen aus der Gruppe um Dr. Valent. Diese neuen Entwicklungen sind in meinem E-Book "Diagnosekriterien für MCAS verstehen: Aktuelle Entwicklungen und neue Perspektiven" kurz und übersichtlich zusammengefasst.
Details zum E-Book: Durch die neuen Publikationen aus der Gruppe um Dr. Valent ist die Vielzahl an Publikationen und Positionen zum Thema "MCAS-Diagnosekriterien" weiter angewachsen und inzwischen unübersichtlich geworden. Es wird daher immer schwerer, die Inhalte nachzuvollziehen. Das E-Book löst dieses Problem und präsentiert die aktuellsten wissenschaftlichen Vorschläge für die Diagnosekriterien für MCAS in einer übersichtlichen Kurzfassung.
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Die Autorin Dr. Nina Kreddig kooperiert mit Dr. Afrin an einem Forschungsprojekt. Ihre hier dargelegte Meinung („persönliches Fazit“) ist ihre persönliche Meinung. Es besteht kein Interessenkonflikt.
Literatur
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